Fangen Hunde an sich vermehrt zu kratzen, denken die wenigsten an die Körpersprache des Hundes oder an Stress, sondern an Flöhe und Allergien. So ging es auch mir: Chiru zog bei uns ein und fing an sich häufig zu kratzen. Die Wohnung wurde abgesucht, der Flohkamm hatte Dauereinsatz zu Kontrollzwecken und als das nicht der Auslöser war, musste ein Allergietest her. Eigentlich war das alles überflüssig... Denn häufig zeigt uns unser Hund einfach nur durch sein Kratzen das er sich gerade unwohl fühlt oder ihn eine Situation überfordert. Treten diese Situationen vermehrt auf, verursacht dies bei ihm Stress und aus einem harmlosen Kratzen wird schnell ein ständiges Kratzen, Wundlecken bis hin zur Selbstverstümmelung.
Ganz einfach ausgedrückt: Stress ist wenn´s zu viel wird, wobei es sowohl positive als auch negative Auslöser hierfür gibt. Der Organismus des Hundes reagiert auf innere und äußere Bedrohungen und bündelt seine Kräfte um Situationen zu bewältigen. Hört man das Wort "Stress" in Verbindung mit Hunden fallen einen spontan die negativen Auslösen ein:
Spontan konnte ich bei Chiru meiner Meinung nach fast alle negativen Auslöser ausschließen. Der Umzug vom Züchter zu uns lag einige Zeit zurück, er hatte sich toll eingelebt, war gesundheitlich fit und bekam ausreichende Beschäftigung... Das aber auch positiven Auslöser Stress verursachen berücksichtigte ich in meiner "Aufrechnung" nicht. Hierzu zählen unter anderem:
Dabei sind sie gerade diese Punkte bei sehr jungen Hunden häufig der Auslöser für Stress. Natürlich besuchte auch ich mit Chiru die Welpenspielgruppe. Hier kamen gleich mehrere Punkte zusammen- die fremde Umgebung, ein Überangebot an Spielkameraden, wilde Jagdspiele, die vielen Menschen auf dem Hundeplatz und die noch ungewohnte Autofahrt.
Kommen mehrere Stressoren (negative und/oder positive) zusammen lösen sie beim Hund erste Stress-Reaktionen aus. Anfangs kann der Hundekörper darauf noch gut reagieren und man spricht von der
Alarmreaktionsphase. Durch ein Zusammenspiel von Nervenimpulsen und Ausschüttung von Stresshormonen reagiert der Körper optimal auf die Situation.
Die zweite Phase ist die Widerstandsphase, in die der Organismus versucht sich an den Stressor anzupassen. Kann der Hund die Situation für sich nicht bewältigen kommt es zur
Erschöpfungsphase. Der Körper kann sein inneres Gleichgewicht nicht mehr herstellen und befindet sich in dauernder "Alarmbereitschaft".
Typische Anzeichen für Stress sind neben dem Kratzen:
Um bei dem Beispiel Hundeschule zu bleiben: Bedeutete Welpenspielgruppe gleich Stress für Chiru und woran konnte man dies erkennen? Diese Frage kann man mit einem eindeutigen "Ja" beantworten. Chiru zeigte mehrere Anzeichen, dass ihn die Situation überforderte: er hechelte sehr viel und rannte häufig hektisch über den Hundeplatz, sprang auch fremde Menschen an, was sonst überhaupt nicht seine Art war und begann ab der dritten Welpenspielstunde bei anderen Hunden ständig aufzureiten.
Grundsätzlich ist Stress für den Körper nicht nur etwas negatives, sondern eine lebenswichtige Reaktion des Körpers auf Reize, die ihm eine Anpassung auf veränderte Umweltbedingungen
ermöglichen. Deshalb ist es auch so wichtig Welpen behutsam an unterschiedliche Situationen wie Autofahren, Kontakt zu Kindern und Artgenossen, fremde Umgebungen pp. zu gewöhnen, damit sie lernen
sich veränderten Situationen anzupassen (Sozialisierung).
Da jeder Hund unterschiedlich mit Stresssituationen umgeht und reagiert ist es wichtig seinen Hund genau zu beobachten, wie stark ihn die Situation "fordert". Hier bei spielt auch der Charakter
des Hundes eine entscheidende Rolle. Viele Hunde besuchen vollkommen problemlos die Hundespielgruppe und lernen sich der neuen Situation anzupassen - für Chiru bedeutete es ein "zu viel" an
Anforderungen.
Der Hund ist heute Sozialpartner und nicht mehr nur "Haustier"- logisch, dass man sich mit ihm auch intensiv beschäftigt. Hundeschulen und -sportvereine haben einen riesigen Zulauf und
Agility, Dog-Dancing, Mantrailing und Flyball sind gängige Begriffe im Hundealltag geworden. Grundsätzlich ist dies eine sehr positive Entwicklung, wenn die Aktivitäten
nicht den gesamten Tagesablauf des Hundes in Anspruch nehmen und er genügend Ruhephasen hat.
Chiru ist von seinem Wesen ein sehr ruhiger Hund, der Probleme hat sich in größeren Hundegruppen zu integrieren und Rückzugsorte benötigt. In seinem Verhalten ist er sehr unsicher und reagiert
häufig mit "Angriff ist die beste Verteidigung". In unserer Spielgruppe waren durchschnittlich 15 Hunde im Alter von 10 - 24 Wochen und es war verboten Kontakt zum eigenen Hund aufzunehmen
(heute bin ich schlauer und würde diesen Platz nie wieder mit Chiru betreten). Für ihn wäre es sinnvoller gewesen, sich eine kleine Welpenspielgruppe mit wenigen Hunden zu suchen und ihn
behutsamer an die neue Situation heranzuführen. Natürlich löste allein diese Stresssituation bei ihm nicht das ständige Kratzen und Wundlecken aus, sondern u.a. auch die Vielzahl unserer
Aktivitäten.
Wie oben schon beschrieben, berücksichtigte in unserem Tagesablauf zu wenig, dass auch ein zu viel an positiven Dingen Stress auslösen kann. Grundsätzlich achtete ich schon sehr gewissenhaft
darauf, dass Chiru nach einem erlebnisreichen Tag mit vielen neuen Eindrücken ein bis zwei ruhige Tage benötigte, dachte aber nicht daran, dass auch ein Spielnachmittag mit anderen Hunden nach
einem für ihn vermeintlich langweiligen Vormittag im Büro Stress auslösen kann.
Auch hier ist es wieder wichtig den eigenen Hund und seinen Charakter richtig einzuschätzen. Meine Züchterin sagte einmal zu mir: "Du machst aus deinem Chiru genauso wenig einen Hund der gerne
ständig unterwegs ist, wie ich aus meinem Mann einen Partylöwen!" - Recht hatte sie!
Das Kratzen wurde bei Chiru immer schlimmer und wir kämpften immer öfters gegen große Ekzeme bei ihm an. Der Tierarzt diagnostizierte zwar eine Futtermilben und Flohbissallergie, aber ich war mir sicher, dass dies nicht der Auslöser für unser Problem war.
Unsere Züchterin brachte uns dann auf den "richtigen Weg" und hielt mir Chiru´s Charakter noch einmal vor Augen. Bereits als kleiner Welpe war im das Getobe seiner Geschwister schnell zu viel und
er zog sich lieber zurück. Er spielte gerne mit sich alleine oder einen seiner Brüder benötigte aber immer Rückzugspunkte und viele Ruhephasen für sich.
Mit diesem Wissen fing ich an Chiru´s Alltag neu zu strukturieren:
Nach bereits wenigen Wochen stellten sich bei uns die ersten Erfolge ein. Das Kratzen reduzierte sich und "Hotspots" und "Ausschlag" gehören der Vergangenheit an. Zum Glück ist es bis heute
dabei geblieben.